Donnerstag, 16. April 2015

Publikationsbeitrag von Jana Vanecek

Denis Handschin beschäftigt sich mit „Nichtstun“. Das ist doch völlig absurd! Wie kann man sich mit etwas beschäftigen, das jegliche Beschäftigung ausschliesst? Wie soll man über jemanden schreiben, dessen künstlerische Strategien und Taktiken nicht nur das Nichtstun - hier wird immerhin durch das Verb tun eine geringe Chance auf die Möglichkeit einer Tätigkeit impliziert – sondern das Nichts beinhalten? Und wie bitte, soll ich über Arbeiten schreiben, die ich noch nie gesehen habe?  Könnte es sein, dass diese konsequenterweise nicht existieren? 

Nach einer mit magerem Erfolg gekrönten Suche mit Google, besuche ich Handschins Website, in der Hoffnung dort auf Informationen zu stossen. Aber auch hier finde ich Nichts. Die Seite enthält weder dokumentierte Arbeiten, noch Informationen über den Künstler. Keine Bilder. Keinen Text. Einfach Nichts. Ratlos starre ich auf das schwarze Viereck das mir der Bildschirm zeigt. Ein schwarzes Viereck. Malewitsch bezeichnete sein schwarzes Quadrat im Ausstellungskatalog auch als Viereck, denn genaugenommen entspricht es nicht einem Quadrat. Es ist weder ein regelmässiges Viereck, noch stehen seine Seiten parallel zueinander. Doch länger betrachtet entfaltet das schwarze Viereck mit seinem bewusst inexakten Form- und Farbauftrag - das Schwarz ist nicht deckend sondern durchscheinend und lebendig - einen merkwürdigen Sog. Es verweist in einen unbekannten und grenzenlosen Raum der Subtraktion und Addition. In dieser vermeintlichen Leere erblickt man eine Gegenstandslosigkeit in der alle Formen und Farben enthalten sind.

Kann es sein, dass auch im Nichts-tun bereits alle Tätigkeiten enthalten sind?

Aufgrund dieser Erkenntnis bin ich versucht meine schriftliche Reflexion über das  Nichts-tun einfach zu unterlassen. In meiner Vorstellung gebe ich einige unbeschriebene Blätter Papier ab oder schicke per Mail ein leeres pdf. Ich könnte diese Verweigerung damit begründen, dass ich mit meinen „Unmanifestierten Gedanken auf weissem Grund“ Handschins Webseite zitiere, welche wiederum als eine Referenz auf das Schwarze Quadrat gelesen werden könnte. Ich könnte auch mit einem direkten Verweis auf Malewitsch argumentieren. Jedoch ausgehend vom weissen Quadrat mit dem er 1919 seine Experimente mit dem Suprematismus abschloss. Er beschrieb das weisse Quadrat als einen Ausdruck der reinen Gegenstandslosigkeit, während er das schwarze Quadrat als gegenstandslose Empfindung bezeichnete. Der weisse Grund symbolisierte für ihn das Nichts ausserhalb dieser Empfindung. Eine andere Möglichkeit zur Entschuldigung würde der Text „Die Faulheit als tatsächliche Wahrheit der Menschheit“ bieten. Da erhebt Malewitsch die Faulheit zur Mutter der Vollkommenheit. Für die meisten Menschen gibt es nur eine einzige Vollkommenheit; und der, der ruht sich seit sechs Tagen getaner Arbeit bis auf alle Ewigkeiten aus. Eifersüchtig denke ich an die bereits geleistete immaterielle Arbeit, zu dieser Reflektion.

Nach sieben weiteren, bloss im Kopf verfassten, möglichst intellektuell formulierten und kunsttheoretisch fundierten Ausreden, die für eine Abgabe der leeren Blätter sprechen könnten, gebe ich auf. Ich gebe auf, da mir bewusst ist, dass meine „Unmanifestierten Gedanken auf weissem Grund“ allerhöchstens von Handschin goutiert werden, da bereits eine Form der vielfältig kooperativen Affekt- und Beziehungsarbeit geleistet in der mittels regelmässiger Kommunikation Wissen zum Thema ausgetauscht wurde. Ausserdem bin ich genau hundert Jahre zu spät für pseudo-suprematistische Ansätze, John Cage ist mit 4:33 nicht zu übertreffen und die immaterielle Arbeit besitzt in dieser Gesellschaft einen schwierigen Stellenwert. Einerseits hat sie die hegemoniale Funktion der industriellen Fabrikarbeit abgelöst und trägt zur täglichen Reproduktion und Produktion bei. Andererseits gibt es immer noch viele Bereiche der immateriellen Arbeit die nicht anerkannt sind, da sie im Allgemeinen mit Nicht-Arbeit gleichgesetzt werden. Dies führt zu nachteiligen Konsequenzen bei der beruflichen Laufbahn und der sozialen Absicherung. Oberflächlich betrachtet, könnte sich in meinem Fall die Gleichsetzung mit Nicht-Arbeit, als höchst nützlich erweisen. Es erscheint mir aber viel zu simpel das Nichts-tun dialektisch zur Arbeit zu definieren.

Es ist vier Uhr Nachmittags und die Ratlosigkeit, betreffend der Nichts-tun-Thematik, nimmt beständig zu. Ich greife nach dem Rettungsanker. Nietzsches Umwertung aller Werte. Als Sohn eines lutherischen Pfarrers beschwerte er sich, im 1882 erschienen Aufsatz „Arbeit und Langeweile, Musse und Müssiggang“, dass man der vita contemplativa bald nicht mehr ohne Selbstverachtung und schlechtem Gewissen nachgehen könne. Dank dieser etwas mageren Ausrede entscheide ich mich meinen protestantisch-industriell geprägten Arbeitsethos, zumindest für kurze Zeit über Bord zu werfen und lege mich ohne schlechtes Gewissen ins Bett. Vielleicht werde ich in der Horizontalen, dem Geheimniss des Nichts-tun ein wenig näherkommen. Alle, die jetzt an einen Power-Nap denken, muss ich leider enttäuschen, da ein Power-Nap ist immer an die darauffolgende Leistung gebunden ist und zur Erholung dient. Ich werde doch meinen Hang zur Freude nicht mit dem „Bedürfnis der Erholung“ entschuldigen, um noch einmal mit Nietzsche zu sprechen. Nein, ich ergreife hier die Möglichkeit zu otium und otiositas – oder zumindest eine weitere Gelegenheit zur Prokrastination.

Prokrastination soll zuweilen ganz förderlich sein, denn viele Anforderungen lassen sich Aussitzen, beziehungsweise Ausliegen in meinem Fall. Erfahrungsgemäss prokrastiniert man allerdings eher lästige Aufgaben: Seminararbeiten, den Abwasch, langweilige Projekte, mühsame E-Mails, nervige Behördengänge oder die Steuererklärung. Ich kann jedoch nicht behaupten, dass meine Auseinandersetzung mit dem Nichts-tun, nur im Entferntesten mit einer dieser Tätigkeiten vergleichbar wäre, obschon sie sich als einiges komplexer und anstrengender als Anfangs angenommen erweist, kann ich jedoch versichern, dass ich dabei keine Qualen empfinde, wenngleich eine gewisse Ähnlichkeit zum Erzähler in Marcel Proust’s "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" besteht, welcher unter der Unfähigkeit leidet ein literarisches Werk zu schaffen. Zusätzlich ist unsere Vorliebe für Pastiches und lange Sätze nicht von der Hand zu weisen und bei beiden steht in gewisser Weise ein Kunstwerk im Mittelpunkt, aber hier endet die Ähnlichkeit bereits, obwohl ich verschwiegen habe, dass auch mich oft eine krankhafte Willensschwäche und Trägheit befällt, die mich daran hindert zu schreiben und ich deshalb Regenschauer und helle Durchblicke zwischen den Wolken vorbeiziehen lasse, während ich jedes Mal den festen Vorsatz fasse, mit der Arbeit am nächsten Tag zu beginnen. Doch bei der Form von Prokrastination die ich jetzt anwende, handelt es sich um das Triggern eines Hochgefühls, welches sich nur einstellen kann, wenn man die Arbeit bis zum letzten Drücker hinausschiebt. Adrenalin Baby! You know what I mean, don’t you?

Hinzukommend bietet gezieltes Prokrastinieren Raum und Zeit für Musse. Musse, die dringendst von der kommerzialisierten Freizeit zu unterscheiden ist, zeichnet eine Zeit aus, in der man sich den eigenen Interessen widmet, sich um sich selbst sorgt. Die Sorge um das Selbst, laut Michel Foucault, welcher dabei auf die Antiken Denker verweist, ist durch eine nicht-egoistischen Moral gekennzeichnet und wird durch ihre charakterbildende Möglichkeiten zu einer höchst wertvollen Grundlage im Zusammenleben in der Polis. Er beschreibt die Sorge um das Selbst vom vom politisch bestimmten sokratisch-platonischen Anspruch bis hin zu Seneca. Dieser illustriert die Musse mit einer aufschlussreichen Fülle von Ausdrücken, welche von  „zu sich kommen“ und „bei sich weilen“ bis hin zu „seines werden“ reichen. Durch all diese Tätigkeiten soll eine Freiheit für sich selbst (vacatio) erreicht werden. Wie man bereits erkennen kann, hat man es auch bei der Musse nicht mit einer gänzlichen Untätigkeit zu tun.

Gibt es überhaupt Momente in denen wir Nichts-tun? Selbst im Schlaf kann man von keiner Untätigkeit ausgehen. Denn trotz der äusseren Ruhe, kann man minimale körperliche Aktivitäten verzeichnen und der Schlaf hat ausserdem eine lebenserhaltende Funktion. Selbst im Tod, der den Verlust von allen wesentlichen Lebensfunktionen mit sich bringt, stellt der Zerfall eine, wenn auch passive, Aktivität dar. Dies bringt mich zu einer Arbeit von Denis Handschin, wo er verschiedenen Menschen, jeweils eine Minute lang beim Nichts-tun filmte. Natürlich beschäftigten sich alle, zumindest minimal. Sie schauten sich um, hingen ihren Gedanken nach oder standen einfach rum. Eine paradoxe Tätigkeit, dieses Nichts-tun.

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